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„Das Gänsehautgefühl hat gefehlt“

Rennbahn-Geschäftsführerin Andrea Höngesberg im Interview

Foto: DRRV/Melanie Zanin

von Bernd Schwickerath

Seit Jahrzehnten reitet sie selbst, seit März dieses Jahres ist sie Geschäftsführerin des Düsseldorfer Reiter- und Rennvereins und damit für die Rennbahn zuständig: Andrea Höngesberg. Eigentlich hatte sie große Pläne für ihr erstes Jahr auf dem Grafenberg. Doch dann kam die Corona-Pandemie. Vor dem letzten Rennen des Jahres – dem 100. Preis der Landeshauptstadt Düsseldorf – spricht die 36-Jährige über Gegenwart und Zukunft des Galoppsports.

Frau Höngesberg, am Wochenende geht die Galoppsaison in Düsseldorf zu Ende. Wie war es, das Corona-Jahr 2020?

Andrea Höngesberg: Es ist ein total verrücktes Jahr gewesen, und das nicht nur positiv verrückt, aber auch nicht nur negativ verrückt. Ich habe Anfang des Jahres hier begonnen und bis jetzt noch nie einen normalen Renntag organisiert – also habe ich wieder was, auf das mich bald freuen kann (lacht).

Aber die Planungen waren sicher andere…

Höngesberg: Ja, wir hatten am 6. März bei unserer Jahrespressekonferenz große Pläne vorgestellt, um mehr Zuschauer zu akquirieren, die Umsätze zu steigern, mehr Wettumsätze zu haben und die Rennen eventiger zu gestalten mit anderen Rahmenprogrammen. Und eine Woche später kam das Veranstaltungsverbot, da waren die Pläne erst mal auf Eis gelegt. Insgesamt sind wir jetzt aber auch mit einem blauen Auge davongekommen.

Wie das?

Höngesberg: Wir haben überraschend große Wettumsätze gehabt. Vorher hätten wir nicht gedacht, dass so viele Leute unsere Rennen von zu Hause verfolgen. Sehr stolz sind wir auf unsere Bewegtbild-Produktionen, die wir dieses Jahr angestoßen haben, um das zu unterstützen. Man kann den Renntag inzwischen von zu Hause aus in der größten Qualität erleben, wie man es auch von anderen Sportarten her kennt. Das ist für eine Entwicklung in die Zukunft, die der Galoppsport ja insgesamt gehen muss, auch ein positiver Katalysator. Also ziehen wir ein gemischtes Fazit.

Der Deutsche Galoppverband spricht von der „schlimmsten Krise im Rennsport seit dem Zweiten Weltkrieg“. Eugen-Andreas Wahler vom Hamburger Rennclub sagt hingegen: „Wirtschaftlich sieht das gar nicht so schlecht aus insgesamt.“ Wer hat recht?

Höngesberg: Es ist in der Tat eine gemischte Situation, da der Dachverband für alle Teilnehmer innerhalb des Mikrokosmos Rennsport spricht, ich aber speziell für den Düsseldorfer Rennverein. Die Rennvereine, die schnell Maßnahmen ergriffen und auch ein bisschen Glück hatten, sind ganz gut durchgekommen. Wir hatten zum Beispiel das Glück, dass viele unserer Partner an unserer Seite geblieben sind. Zum Beispiel Henkel hat sein Sponsoring zu 100 Prozent erfüllt – auch ohne Zuschauer an der Bahn. So konnten wir an diesen Tagen auch die vollen Renngagen auszahlen und hatten mehr Unterstützung als kleinere Vereine, die wirklich mehr zu kämpfen hatten und für die es sicherlich nicht so gut aussieht.

Welche sportlichen Auswirkungen hat die Pandemie?

Höngesberg: Auch da gilt: Die, die es am härtesten trifft, sind die Kleineren. Die Besitzer und Trainer, für die das Rennpferd ein Hobby ist. Das sind vor allem Menschen, die das aus Leidenschaft machen und nicht, um damit Geld zu verdienen. Das ist zwar immer die Hoffnung, aber das geht selten auf. Da gibt es Menschen, die es sich vom Mund absparen, Pferde zu haben. Und für die ist das natürlich ein Problem, wenn sie im privaten Bereich in Kurzarbeit sind. Dann müssen sie irgendwann ihre Pferde verkaufen. Und da hängt ein ganzer Rattenschwanz dran: Der Trainer hat weniger Pferde im Training, er hat weniger Einnahmen, die Anzahl der Pferde insgesamt sinkt. Das könnte uns auf lange Sicht wehtun.

Sie rechnen also damit, dass es künftiger weniger Aktive gibt?

Höngesberg: Ja, weil man sich im Pferdesport nichts von heute auf morgen überlegen kann. So ein Pferd muss erst mal geboren und gezüchtet und trainiert werden. Das wird uns in den nächsten drei, vier Jahren noch beschäftigen. Wobei man auch sagen muss, dass das nicht erst mit Corona begonnen hat, aber die Pandemie ist ein Katalysator für die Entwicklung.

Foto: Marc Rühl

Dem Galoppsport geht es ja seit Jahren schon nicht mehr so, wie es ihm mal ging – sportlich und organisatorisch…

Höngesberg: Ja. Große Bahnen, wie wir es sind, haben aber noch mal andere Möglichkeiten, Einnahmen zu generieren, über Zusatzevents oder Großveranstaltungen. Das konnte dieses Jahr natürlich auch alles nicht stattfinden, glücklicherweise haben wir aber auch schon Partnerschaften für die Zukunft geschlossen, weil viele auf der Suche nach schönen Open-Air-Locations waren. Außerdem haben wir das eine Jahr durch spezielle Maßnahmen unseres Dachverbandes überstanden. Der Kalender wurde angepasst, es waren immer nur auf einer Bahn Rennen, die Wetter haben sich also auf eine Bahn konzentriert.

Wo Sie die Wetten ansprechen: Ist der Galoppsport im Gegensatz zu anderen Sportarten ohne großen TV-Vertrag nicht so sehr auf Zuschauer vor Ort angewiesen, weil man ja auch online Wetten platzieren kann?

Höngesberg: In diesem Jahr konnten wir die fehlenden Zuschauer in der Tat kompensieren. Das ist aber auch nur so gut ausgegangen, weil lange Zeit wenig anderer Sport stattgefunden hat, sodass Leute, die an Sportwetten interessiert sind, zwangsläufig zu uns kommen mussten. Außerdem gab es viele Aktionen, die das befeuert haben. Das wird sich jetzt auch wieder ändern, von daher ist das nichts, auf das man seine Zukunft aufbauen kann. Trotzdem kann man irgendwie sagen: Die Onlinewetten sind unsere Form von Fernsehgeld.

Langfristig brauchen Sie aber Zuschauer?

Höngesberg: Wir sind nun mal eine Randsportart, und als solche ist es essenziell für uns, dass wir Veranstaltungen bieten, zu dem Leute hingehen und einen schönen Sonntag verbringen können. Auch wenn das jetzt nicht alles Hardcore-Fans sind, die sich das zu Hause drei Stunden vor dem Fernseher ansehen würden. Das ist halt der große Unterschied: Wir bieten vor Ort ein Gesamterlebnis, das 20.000 Leute anzieht. Bei anderen Sportarten ist der Konsum über gewisse Kanäle da gelernter. Bei uns wollen die Leute vor Ort sein, deswegen waren viele nicht einverstanden, dass wir keine Zuschauer auf die Bahn lassen durften. Wir sind an der frischen Luft, die Fläche ist riesig. Aber wir konnten nichts machen, ein Pferderennen wird nun mal als Sportveranstaltung eingestuft, und bis vergangene Wochen waren Sportveranstaltungen die einzigen, bei denen nicht mehr Zuschauer durch Hygienekonzepte möglich waren. Gleichzeitig hatten wir Events wie den Heimatsommer hier, das ist dann Kultur, dann durften mehr Zuschauer auf die Anlage. Das verstehen viele Menschen nicht.

Und fernab vom Geld: Was fehlt dem Rennverein, wenn wie beim Preis der Diana nur 150 Zuschauer zugelassen sind?

Höngesberg: Zum einen geht es schon ums Geld: Wenn hier keine Zuschauer sind, lohnt sich das kaum für Sponsoren, gerade für lokale Firmen hier aus Düsseldorf. Wir haben viel davon in den Onlinebereich übertragen können, aber das kann das Live-Erlebnis vor Ort nicht kompensieren. Und natürlich hat uns einfach das Gänsehautgefühl gefehlt, wenn tausende Menschen mitgehen und schreien. Das fehlt auch den Aktiven. Es wäre schon schön, wenn der Einsatz der vielen Leute drumherum und der Sportler auch von einem Publikum vor Ort gesehen werden würde.

Wie lief es sportlich aus Düsseldorfer Sicht?

Höngesberg: Das ganz große Highlight war für uns der Preis der Diana, den die Stute Miss Yoda unter dem Starjockey Frankie Dettori gewonnen hat. Der dann ja auch seinen berühmten „Dettori-Jump“ vom Pferd gemacht hat. Ein toller Moment war auch der Erfolg des Pferdes von Klaus Allofs, von Potemkin, der auch in einem hohen Alter dieses Jahr sehr erfolgreich gelaufen ist. Auch hier bei einem Listenrennen. Und was uns als Verein sehr gefreut hat, waren die Siege von Der Prince von einem Ehepaar aus Neuss, der hier zwei tolle Siege geholt hat. Das ist ein schönes Zeichen, dass auch ganz normale Menschen mit einem Pferd, das bei einer Auktion 8500 Euro gekostet hat, richtig drin sind im Rennsport. Die haben mitgefiebert und gejubelt und damit alle angesteckt.

Nun steht der 100. Preis der Landeshauptstadt Düsseldorf an. Was ist vom letzten Wochenende der Saison zu erwarten?

Höngesberg: Wir blicken da mit gemischten Gefühlen drauf, weil das Wetter leider nicht so gut angesagt ist. Gleichzeitig haben wir aber zum ersten Mal die Möglichkeit, bis zu 1000 Zuschauer auf der Bahn begrüßen zu dürfen und freuen uns sehr drauf, mal wieder ein bisschen Leben hier rein zu bekommen und ein bisschen Rahmenprogramm zu haben. Wir haben neun Rennen, das große Highlight ist das Gruppe-III-Rennen rund um den großen Preis mit dem englischen Spitzenpferd Stormy Antarctic, im Wettmarkt gerade sehr hoch angesehen. Wir vom Rennverein drücken aber heimlich Wonnemond die Daumen von unserem Lokalmatador Sascha Smrczek. Wobei er natürlich als Außenseiter ins Rennen geht.

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