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Nur ein weinendes Auge

André Pollmächers Augen glänzen. Bei jedem Satz gestikuliert er mit seinen Händen. Nicht wild, eher bestimmt und bedächtig. Wenn er spricht, dann verlassen klare und strukturierte Sätze seine Lippen. Dieser Mann hat sich Gedanken gemacht. Viele Gedanken. Und während er sie äußert, lächelt er. „Vor zwei Wochen war ich noch traurig. Inzwischen sehe ich es anders“, sagt der 33-Jährige. Er spricht viel über die Zukunft.

Die Vergangenheit hat er hinter sich gelassen. Pollmächer hat einen Entschluss gefasst, der sein Leben verändern wird. Mehr als ein Jahrzehnt zählte er zu Deutschlands besten Langstreckenläufern. Europameisterschaften, Weltmeisterschaften, hochklassige Wettkämpfe. 15 Jahre lang waren das die Fixpunkte im Leben des Leistungssportlers. 2007 gewann er den Europacup über 10 000 Meter. In diesem Jahr wollte Pollmächer das Ticket für Rio lösen. Ein Start bei den Olympischen Spielen in Brasilien im Marathon sollte der krönende Abschluss seiner sportlichen Laufbahn werden. Dazu wird es nicht kommen. André Pollmächer hat in dieser Woche sein Karriereende beschlossen.

„Mein Körper streikt an verschiedenen Stellen. So ehrlich musste ich zu mir sein“, sagte er. „Ich habe eine Menge ausgehalten, meinen Körper an seine Grenzen geführt. Jetzt bin ich nicht mehr in der Lage, dauerhaft über mich hinauszuwachsen.“ Immer wieder bremsten Pollmächer zuletzt muskuläre Probleme aus. Mal war es die Wade, dann der Oberschenkel. Vergangenes Jahr stoppte ihn ein Ermüdungsbruch im Kreuzbein. Pollmächer rappelte sich immer wieder auf, doch die Zweifel wuchsen. Die Abstände zwischen den Verletzungen wurden kürzer. „Es gibt nichts, was mit Schmerzmitteln nicht auszuhalten ist. Ich könnte noch ein halbes Jahr erzwingen. Aber zu welchem Preis?“, fragte er sich. Sein Körper sendete eindeutige Signale. Der Kopf zog die Schlüsse.

Eigentlich wollte Pollmächer beim METRO GROUP Marathon in Düsseldorf Ende April um die Qlympia-Qualifikation laufen. Der Prozess im Kopf mündete aber in einem klaren Entschluss. Gemeinsam mit seinem sportlichen Berater Christoph Kopp entschied Pollmächer, dass die Karriere vorbei ist.

Wehmut ist bei Pollmächer weder zu sehen, noch zu hören. Vielleicht ist der in Riesa geborene Athlet darüber auch schon hinweg. Vielleicht kann er diese Gefühle auch einfach nur gut verstecken. „Ich habe mir von Olympia abgesehen, alle sportlichen Träume erfüllt. Ich muss weder mir noch sonst jemandem etwas beweisen“, sagt Pollmächer. Es klingt überzeugend, als er das sagt. Nicht einfach nur so dahingesagt.

Man merkt Pollmächer an, dass er aber viel lieber über das spricht, was jetzt kommt. Sein zweites Leben, wenn man so will. „Andere Dinge sind jetzt wichtiger“, formuliert es Pollmächer selbst. Die Zeiten des Verzichts sind vorbei. Neue Herausforderungen erwachsen. Der 33-Jährige hat klare Vorstellungen davon, wie sein neues Leben aussehen soll und wird. Er spricht viel von „Pfeilern“. Er will sich ausprobieren, ist aber keinesfalls planlos. Nur eben noch nicht endgültig festgelegt.

Trainer wolle er werden und bleiben. In Düsseldorf betreut er bereits sein eigenes Team. „Meinen Athleten sage ich: Jetzt seid ihr dran“, erklärt er. An der Trainerakademie in Köln wird Pollmächer noch mindestens zwei Jahre studieren. Dort wird er spezifisch ausgebildet als Trainer für den Leistungssport. Neben der praktischen Arbeit als Trainer ist das ein weiterer Pfeiler: „Ich habe den Anspruch, dort der Beste zu sein“, stellt er klar. Als langfristiges Ziel nennt er, den Posten eines Bundestrainers beim Deutschen Leichtathletik Verband. Weil Pollmächer über den Tellerrand schaut, betreut er bereits eine Damen‐Basketballmannschaft in Düsseldorf im athletischen Bereich. Er beschäftigt sich intensiv mit Studien zu neuen Trainingsmethoden und referiert bei Landesverbänden zu Themen der Trainerausbildung. Es gibt eben viele Pfeiler im neuen Leben des André Pollmächer.

Und es gibt auch gravierende Änderungen. „Solange ich Leistung gebracht habe, musste ich mir nur wenig Gedanken machen, wie ich mein Leben finanziere“, sagt er und stellt mit Blick auf sein Karriereende fest: „Herzlich willkommen im neuen Leben.“ Zusätzlich zu seiner Vielzahl von Projekten hat er sich bereits um einen Halbtagsjob gekümmert. Ab Mai geht es für ihn täglich fünf Stunden ins Büro. Pollmächer wird dann Bewerbungsgespräche führen und Personal einstellen und betreuen. Und sich so seinen Lebensunterhalt verdienen.

In Düsseldorf will er bleiben. „Ich fühle mich wohl hier, wohne gerne hier“, sagt er. Pollmächer freut sich auf den neuen Lebensabschnitt. Er hat genaue Pläne: „Skifahren. Das reizt mich. Mit meiner Freundin werde ich Schlittschuhfahren gehen.“ Einfache Wünsche, die ihm jahrelang verwehrt blieben. Pollmächer betont dabei immer wieder, dass er den Verzicht in seiner Zeit als Leistungssportler nie bedauert habe. Die neuen Freiheiten will er jetzt aber umso mehr genießen. „Mittwochs mal auf die Ratingerstraße gehen und ein Bierchen trinken. Das hat sicher was“, sagt Pollmächer. „Es fühlt sich angenehm an, auf der anderen Seite zu stehen. Ich weine nur auf einem Auge.“ Und wer ihn sprechen hört, hat keinen Zweifel daran.

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