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Wenn vieles schwer und dunkel ist

Der psychologische Faktor im Profisport

Screenshot: DEG / Montage: Kenny Beele

von Tobias Kemberg

Im Rahmen einer digitalen Talkrunde sprechen Mentaltrainer Axel Zehle und DEG-Legende Daniel Kreutzer über mentale Gesundheit im Profisport. Beide kennen sich in der Materie aus. Der Eine begleitet Fußball- und Eishockeyprofis, der Andere hat die Schattenseiten des permanenten „Unter-der-Lupe-Daseins“ selbst erlebt.

Wettkampfstress, Leistungsdruck, Nervosität – jeder ambitionierte Hobby- oder Breitensportler kennt diese Gefühle. Bei Profisportlern zählen zusätzlich die Faktoren Zuschauer und Medien mit zur Gleichung. Punkte, die in ihrer Bedeutung oftmals und nach wie vor unterschätzt werden. Gerade in den schnelllebigen Zeiten des 21. Jahrhundert, wo etwaige Kritik aufgrund der vorhandenen Anonymität in sozialen Netzwerken schnell und deutlich geäußert werden kann und (fast) jede Aktion oder Reaktion einer Sportlerin oder eines Sportlers medial präsent ist, kommt der mentalen Stärke eine grundlegende Bedeutung bei.

Wenn du als Leistungssportler mental nicht bei 100 Prozent bist, dann kommst du nicht an deinen Peak“, weiß Axel Zehle. Der 46-Jährige arbeitet seit vielen Jahren mit den Fußballprofis von Fortuna Düsseldorf sowie den Eishockeyspielern der DEG zusammen, hört zu, analysiert und berät. Im Rahmen einer digitalen Talkrunde, veranstaltet von der Düsseldorfer EG und auf dem YouTube-Kanal des Klubs abrufbar, sprachen Zehle und Eishockey-Ikone Daniel Kreutzer dieser Tage ausgiebig und offen über mentale Gesundheit im Leistungssport.

Mentaltrainer Zehle sagt: „Der Sport findet noch mehr als früher in der Öffentlichkeit statt. In diesem Zusammenhang sehe ich vieles in puncto Social Media als kritisch an. Innerhalb dieser Netzwerke gibt es keine direkte Konfrontation und daher werden Grenzen immer wieder schnell überschritten.“ So geschehen vor einigen Wochen bei der Fortuna, als sich Mittelfeldspieler Thomas Pledl im Internet regelrechten Hasstiraden ausgesetzt sah. „Die Hemmschwelle ist mittlerweile viel zu gering“, kritisiert Zehle. „Sportler sind kein Freiwild. Im einen oder anderen Fall ist jeglicher Anstand verloren gegangen.“

Es ist eine andere Art der Belastung als früher“

Kritik sei in Ordnung, so lange sie sachlich bleibt. Doch aus Sicht des Experten haben die Fälle von Anfeindungen zugenommen. Die psychische Wirkung ist enorm. Ist die jeweilige Sportlerin oder der jeweilige Sportler nicht stabil genug, können sie nachhaltig beeinträchtigt werden. Nicht nur auf dem Platz, auch im privaten Bereich. „Heutzutage ist alles einfach schneller geworden. Profisportler müssen fitter sein, es ist eine andere Art der Belastung als früher, auch im Vergleich zu den Anfängen meiner Karriere“, sagt Daniel Kreutzer. „Gerade in den sozialen Medien machen sich viele tatsächlich keine Gedanken darüber, was ihre Aussagen bewirken können. Ich habe mir bewusst erst nach dem Ende der Karriere Social-Media-Accounts zugelegt.“

Der 41-Jährige, der seine Laufbahn 2017 beendete, stand mehr als zwei Jahrzehnte im Mittelpunkt des Fan- und Medieninteresses und weiß nicht nur deshalb, wovon er spricht. Nachdem er die Schlittschuhe an den Nagel hing, sprach Kreutzer erstmals offen über Depressionen und den Druck von außen, der ihm jahrelang immer wieder schwer zu schaffen machte. „Meine Karriere war großartig, aber es gab eben auch diese Schattenseiten“, erzählt der langjährige DEG-Kapitän. Mentale Probleme machten sich erstmals im Jahr 2007 bemerkbar: Tunnelblick, Kraft- und Antriebslosigkeit oder das Gefühl, permanent in einer Abwärtsspirale zu sein, waren nur einige Symptome.

„Es muss noch mehr aufgeklärt werden,
zu oft ist das nach wie vor ein Tabuthema.“

Wie bei vielen anderen Sportlern oder Nichtsportlern dachte auch Kreutzer zunächst, dass seine Probleme einen körperlichen Hintergrund hätten. Bis zur Akzeptanz, dass mental etwas Fundamentales nicht absolut in Ordnung ist, war es ein längerer Weg. „Ich habe immer Druck gehabt, auch von mir selbst. Aber über die letzten zehn Jahre meiner Karriere litt ich unter den Depressionen. Mein Sport hat mir immer geholfen – und er hilft mir auch heute noch, wenn es mir mal nicht so gut geht. Aber es ist ein schmaler Grat.“

Kreutzer, der als Vorbild stets voranging und seine Krankheit innerhalb der Mannschaft nie großartig thematisierte, möchte mit seiner Offenheit ein Bewusstsein schaffen, für Betroffene und für Außenstehende. „Darüber zu reden, das hilft. Auch wenn es ein emotionales Thema ist. Ich möchte vermitteln, dass es auch mit Depressionen geht. Ob im Profisport oder im Alltag. Es muss noch mehr aufgeklärt werden, zu oft ist das nach wie vor ein Tabuthema.“ Dazu ergänzt Zehle, der Depressionen zwar nicht selbst behandelt, aber bei entsprechendem Krankheitsbild unterstützt: „Sich selbst einzugestehen, dass du dieses Problem hast, das ist ein großer Angang für Profisportler. Danach aber auf Menschen im eigenen engeren Kreis zuzugehen und sozusagen die nächste rote Linie zu überschreiten, das ist der erste Schritt in die richtige Richtung.“

Foto: Birgit Häfner

Darüber sprechen ist die eine Sache, mit sich selbst zurechtkommen, ist eine andere. Zehle zeigt den Sportlern bei der Fortuna oder der DEG daher entsprechende „Tools“ auf, Mechanismen oder Anregungen, um sich aus mentalen Löchern zu befreien. „Das können banal erscheinende Dinge sein, wie zum Beispiel Musikhören, mit der Freundin oder der Frau einfach mal über etwas ganz Anderes zu reden und einfach abzuschalten“, erklärt Zehle. „Ein entscheidender Punkt ist das kognitive Umstrukturieren. Vereinfacht gesagt bedeutet dies, mal einen anderen Blickwinkel auf die Dinge einzunehmen.“

Druckbelastung, die nicht jeder Außenstehende nachvollziehen kann

Zehle wählt in seiner alltäglichen Arbeit zwei verschiedene Ansätze: Beim reaktiven Ansatz können die Spieler mit allem zu ihm kommen, beim proaktiven Ansatz entwickelt der Mentalcoach ein entsprechendes Mindset. „Das ist wie Beziehungsarbeit“, sagt der 46-Jährige, der über DEG- und Fortuna-Teamarzt Ulf Blecker und dann die Empfehlung von Kreutzer zu den Eishockeyprofis kam und diese nun ebenfalls kontinuierlich begleitet. „Mentale Probleme äußern sich zunächst durch scheinbar unbedeutende Dinge. Leichte Reizbarkeit, Müdigkeit oder Schlafstörungen. Da kannst du schnell aus deiner Ausrichtung kippen. Und dann geht es manchmal schnell in Richtung Burnout oder Depression. Es gibt im Sport eine Druckbelastung, die vielleicht nicht jeder nachvollziehen kann.“

Daniel Kreutzer hat all das erlebt und ist damit zurechtgekommen – umso bemerkenswerter darf im Angesicht dieser Thematik auf seine glanzvolle Karriere zurückgeblickt werden. „Meine Frau und meine Kinder haben mir sehr geholfen, genau wie Axel. Depressionen und mentale Gesundheit im Allgemeinen sind ein großes Thema im Leistungssport. Ich wünsche mir, dass das ernst genommen und häufiger angesprochen wird. Es ist kein Zeichen von Schwäche, sich das einzugestehen und etwas dagegen zu tun“, sagt Kreutzer.

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